Samstag, 9. Januar 2016

"Ich hab meinem Mann blind vertraut!"

es ist Freitag Feierabend. Die versammelte Pendlergemeinde sitzt in der S-Bahn nach Leipzig. Ein Ehepaar steigt ein und fragt leicht besorgt, ob das der Zug nach Leipzig sei. Die gesamte Vierersitzgruppe nickt freundlich, als:

"sehr geehrte Fahrtgäste. Wegen eines was weiss ichs verzögert sich unsere Abfahrt. Wenn Sie es eilig haben, steigen Sie doch in den Zug gegenüber. Der ist dann auch schneller in Leipzig."

Man nickt sich gegenseitig zu. Wir stehen auf und wechseln die Gleisseite. "Es nervt ein bisschen, sagt er. Jedes Tag das Gleiche."
"Ist nicht zu ändern", sage ich, und zucke lächelnd mit den Schultern.
"Ich fahre jeden Tag", sagt er, die Situation betonend. "Ich auch", antworte ich und wir steigen ein.
Wieder steuert ein älteres Ehepaar auf uns zu und setzt sich. Er mit Koffer - Sie mit sorgenvollem Gesicht: "Wir sind zu früh ausgestiegen! Bis wir kapiert haben, dass das hier Halle und nicht Leipzig ist...ich schäme mich!"
Dann schaut sie ihren Mann an: "Ich hab Dir blind vertraut", "Und ich hab Gundula vertraut", antwortet er lächelnd und wendet den Blick mir zu: "So haben wir wenigstens auch mal den Bahnhof von Halle gesehen. Ist ja auch ganz schön."
Also er nimmts gelassen - Sie ist bekümmert, dass sie einfach ausgetsiegen sind an einem Bahnhof ohne zu gucken, wo sie sind.
"Ach, sage ich, ich bin mal in Bitterfeld gelandet und glauben Sie mir - da wollte ich ganz sicher nicht hin!"
"Das beruhigt mich jetzt, sagt sie.
Ich: "Deswegen erzähle ichs Ihnen. Ist doch halb so wild" und ich lege noch ein Plattitüde nach: "Wer keine Umwege geht, erlebt auch nix.!"
"Das stimmt", sagt sie und er fügt hinzu: "da haben Sie jetzt echte Lebenshilfe an uns geleistet!" Er lacht laut und wendet sich seiner Zeitung zu. Der Zug fährt los.
Nach einer Weile kommt der Schaffner - er ist eine Ausnahmeerscheinung - total gut gelaunt und lächelnd geht er durch die Reihen. Das Gesicht der Dame mir gegenüber verzieht sich allerdings zu einem peinlich berührten Lächeln: "Wir sind zu früh ausgestiegen. Kommt das öfter vor?" fragt sie den Schaffner und hofft auf ein JA. Stattdessen lacht der und sagt: "Nee - eigentlich nicht. Meistens steigen die Leute zu spät aus!"
Ich halte dem Schaffner mein Ticket hin: "können Sie mal sehen. So eine Seltenheit und wir können sagen ICH WAR DABEI!" "Ja, lacht er - ich war '89 dabei aber das war ja nix gegen DAS hier!"

"Ich hab meinem Mann blind vertraut!" die Frau grämt sich noch immer über eine Sache, die sonst niemanden stört. Nicht einmal ihren Mann, der ja nun immerhin auch eine Stunde später in Leipzig ankommt als geplant. Aber sie hat richtig zu kämpfen. "Und ausserdem hatten wir Verspätung", sagt sie. "Daran lag's. Wir haben nur auf die Zeit geachtet also ist die Bundesbahn schuld!"
"Die Bundesbahn?!" lacht der Schaffner. "Also da sind Sie dann wohl doch n bisschen spät dran. Die gibt's doch schon ewig nicht mehr - da sind Sie jetzt aber echt n paar Jahre stehengeblieben."

Auweia. Das war nix. Das Gesicht der Frau verfinstert sich und auch wenn der Schaffner es direkt spürt, dass sein gut gemeinter Witz ordentlich daneben gegangen ist, so kann er nix mehr machen. Gesagt ist gesagt. Ich bemühe mich zu retten: "Sie meinen wohl, um viele Jahre JUNG geblieben!"
"JA!", ruft er erleichtert "Ja vielen Dank, das habe ich natürlich gemeint!"
Dass er der Dame im Weggehen noch erklärt, Sie solle sich beim Aussteigen immer an ihn halten, damit es diesmal auch klappt, ist in seinem freundlich gemeinten Effekt eher fraglich.
Das Ehepaar bleibt mit kontrollierten Ticket zurück. Er liest lächelnd. Sie schaut mich verknittert an.
"Ich sag ja immer - alles ergibt am Ende einen Sinn," meine ich und lege damit eine weitere Plattitüde nach, die sich schon sehr bald, als sehr wahr herausstellen soll.

"Wo kommen Sie denn eigentlich her? Sind Sie schon lange unterwegs? frage ich und die Antwort bringt uns alle schlagartig auf den Boden der Heimeligkeit.
"Aus Herne."
Na klar. Meine Geburtsstadt. Wo sollten die zwei auch sonst herkommen und direkt neben mir auf dem Sitz landen. "Ha! Deswegen haben Sie uns auch sofort Beistand geleistet in unserer Situation!" ruft er und auch die Frau hat ihr Lächeln wieder. Es folgen "wie-heissen-Sie denn-wo-wohnten-Sie-denn-und-wo-sind-Sie-zur-Schule-gegangen-mein-Mann-kennt-in-Herne-Jeden-Fragen." Der Tag ist gerettet, die Zugfahrt beendet. Das erste Mal in Leipzig und immer 'n Stück Heimat mit dabei. Siehste. Am Ende ergibt immer alles einen Sinn.
Da hat die Bundesbahn ja doch n bisschen was Gutes gemacht.

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